Orgelnachklang am 26. Dezember
Die ältesten überlieferten Fassungen des Liedes „Es ist ein Ros‘
entsprungen“ stammen aus dem Ende des 16. und dem Anfang des 17.
Jahrhunderts. Die älteste abgeschlossene Handschrift liegt in der
Trierer Stadtbibliothek. Sie ist auf Frater Conradus, einen Mönch der
Kartause, zurückzuführen, der ab 1587 an einem Gebet- und
Erbauungsbuch schrieb. Wegen Unregelmäßigkeiten in der Reihenfolge
der Strophen, Fehlern im Metrum und Schreibfehlern wird vermutet,
dass das Lied schon weitaus länger existiert haben muss. Auch andere
Handschriften aus Köln und Mainz weisen darauf hin, dass die Herkunft
des Liedes der Trierische Raum ist und dass es sich um eine längere
mündliche Tradition des Kirchenliedes handelt. Anders als heute besaß
das Lied eine Vielzahl von Strophen. Bei den ersten zwei Strophen
handelt es sich um ein Rätsellied (erst in der zweiten Strophe wird des
Rätsels Lösung preisgegeben – Maria und/oder Jesus). Durch Assonanz
und Reim werden die Strophen miteinander verbunden, sie bilden eine
poetische Einheit. Bei den restlichen vielzähligen Strophen handelt es
sich um ein Erzähllied, in dem die Themen Verkündigung,
Heimsuchung, Geburt und Beschneidung Jesu, Eintreffen der Heiligen
Drei Könige, Lobpreis und Gebet berührt werden. Aufgrund der
unterschiedlichen textlichen Raffinessen wird davon ausgegangen, dass
es sich bei den verschiedenen zwei Teilen um verschiedene Autoren
handelt. Die uns bekannte Melodie stammt wohl aus dem 16.
Jahrhundert. Ihre Form ist äußerst einfach und schlicht gehalten und
folgt der Form Stollen-Stollen-Abgesang, eine im Mittelalter sehr
gebräuchliche Form.
Um die Klarheit und Schlichtheit zu durchbrechen, wird am Ende des
A-Teils die Melodie rhythmisch gestaut und melodisch variiert. Die
ausgewogene geschlossene Form und die kleinen Unterschiede in
Rhythmik und Melodik lassen das Lied als so wohlklingend und schön
erscheinen. Interessant ist noch die „reine“ Magd. Das Wort „rein“ ist
das Äquivalent zu „jungfräulich“. Das Lied verweist hier einzig allein
auf das bloße Mysterium um die Gottesmutter.
Eine Diskussion über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer
Jungfrauengeburt sollte nicht initiiert werden. Die „reine“ Geburt Jesu
schafft um Maria selbst und ihren Sohn einen zusätzlichen, großen
Heiligenschein.
Am Tag des Orgelnachklangs erklingt „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ von
Johannes Brahms (Op. 122, Nr. 8).